»Schneller-Höher-Weiter-Prinzip« allein trägt auf Dauer nicht
Veröffentlicht am Freitag, 26. Februar 2021
Die »Neustadt Zeitung« sprach mit Stadtbezirksamtsleiter Andrè Barth über Lokalitäten, Statistik und natürlich das Baugeschehen im Stadtteil.
Die „Neustadt Zeitung“ im Gespräch mit dem Stadtbezirksamtsleiter André Barth – Teil II des Interviews zum Jahresauftakt.
Das »Assieck«, Wohlwollende sprechen von der »Sozialen Ecke«, ist zu einem Problemfall geworden. Soll diese Anarchie nach dem Motto »Jeder nimmt sich, was er glaubt, dass es ihm zusteht, zur Dauereinrichtung werden?
Wir haben die Lokalität inzwischen »Schiefe Ecke« getauft, um allen Befindlichkeiten und Sichtweisen gerecht zu werden. Nun, die Situation hat sich verschärft! Zeitweise versammelten sich in diesem Bereich (Rothenburger Straße, Ecke Louisenstraße) bis zu 1.000 Personen. Das hat zu einer neuen Qualität geführt. Durch die Blockade der Straßenbahnlinie 13 kam es immer wieder zu erheblichen Verzögerungen und letztlich zu Ausfallzeiten.
Erstmals gab es 2020 Beschwerden von Anwohnerinnen und Anwohnern, aber auch vonseiten der Gewerbetreibenden. Daraufhin haben wir mit den Betroffenen das Gespräch gesucht. Bei einem Mitternachtstreff vor Ort hat sich die Kommunalpolitik ein Bild gemacht.
Seit Ende Juni ist die Präsenz von Polizei und Ordnungsamt verstärkt worden. Freitag und Samstag sind rund 40 Kräfte im Einsatz. Das hat zu einer gewissen Entspannung der Situation geführt.
Klar ist, dass man das Problem allein mit rechtlichen Maßnahmen nicht lösen kann. Wir wollen bei denjenigen, die zum Feiern in die Neustadt kommen, für Rücksicht und Verständnis dafür werben, dass der Stadtteil eben auch Wohnviertel ist und entsprechende Ruhezeiten einzuhalten sind. Wir haben uns deutschlandweit umgesehen. Für 2021 setzen wir verstärkt auf einen kommunikativen Ansatz, auf direkte Ansprache, administrative Kontrollen und möglicherweise auch auf eine Einschränkung des Alkoholkonsums. Andere Städte haben damit gute Erfahrungen gemacht.
Gefühlt sind Rohheitsdelikte und Betäubungsmittelkriminalität angestiegen. Täuscht der Eindruck?
Jein, ganz klar! Im Bezug auf die Rauschgiftdelikte täuscht der Eindruck. Die Tendenz ist hier deutlich rückläufig, minus fünfzehn Prozent. Das bedeutet aber nicht, dass es in der Neustadt weniger Rauschgift gibt. Bei der Rauschgiftkriminalität handelt es sich um sogenannte Kontrollkriminalität. Ich will damit sagen, dass ein Dealer seinen Kunden nicht anzeigen wird und umgekehrt. Etwas anders sieht es bei den Rohheitsdelikten aus. Hier ist ein Anstieg um etwa fünf Prozent zu verzeichnen. Ein Prozent davon sind Gewaltdelikte. In absoluten Zahlen ist diese Art der Kriminalität aber nicht sehr hoch.
Zur berühmten Statistik. Nennen Sie doch bitte wieder einige Zahlen, an denen deutlich wird, in welche Richtung die Neustadt marschiert.
Ich habe mir die Entwicklung der Einwohnerzahlen, die Geburtenrate, das Durchschnittsalter und die Anzahl der gastronomischen Einrichtungen herausgegriffen. Ende 2019 lebten 51.308 Einwohner im Stadtbezirk, zum 31. Dezember 2020 waren es 51.156. Der leichte Rückgang bezieht sich hauptsächlich auf die Innere und Äußere Neustadt. Leichte Zuwächse gibt es im Bereich Albertstadt und Leipziger Vorstadt.
Zu den Geburten. Hier stammt die Vergleichszahl aus dem Jahr 2018. Damals wurden 808 Geburten gezählt, 73 mehr als 2019. Das Durchschnittsalter im Stadtbezirk lag 2019 bei 43,1 Jahren, 2020 stieg es nur ganz leicht auf 43,2 Jahre.
Man könnte sagen, die Zeiten des Wachstums sind vorbei oder von einer Stagnation sprechen. Wir unterscheiden uns hier aber nicht von Dresden insgesamt.
Nun zu den gastronomischen Einrichtungen. Hier habe ich einen Fünfjahresvergleich gewählt, 2015 zu 2020. Dabei gibt es zwei kleine Unschärfen. Die Postleitzahlbereiche 01097 und 01099 decken sich nicht ganz mit dem Stadtbezirk. Außerdem sind Betriebe ohne Alkoholausschank nicht enthalten.
Im Jahr 2015 gab es demnach in der Neustadt 391 Gastronomiebetriebe, 2020 waren es 409. In der Äußeren Neustadt zählte man 272 bzw. 283 Einrichtungen. Wir haben also relativ konstante Zahlen mit einer ganz leichten Tendenz nach oben. Welche Veränderungen sich in den nächsten Monaten in Zusammenhang mit der Coronakrise ergeben, wird man sehen müssen.
Wird der Termin für die Übergabe des Ersatzneubaus und der integrierten Zweifeld-Sporthalle für das Berufliche Schulzentrum »Prof. Erich Zeigner« Ende Februar gehalten?
Corona hat doch zu erheblichen Verzögerungen im Bauablauf geführt. Die Fertigstellung ist nun für den Sommer 2021 geplant. Auf den Schulunterricht wird das aber ohne Auswirkungen bleiben. Der Präsenzunterricht wird im Bestandsgebäude in der Melanchtonstraße und in einer Außenstelle auf der Winterbergstraße abgesichert.
Wie gehen die Arbeiten am Schulneubau an der Königsbrücker Straße voran?
Die Arbeiten an der 151. Oberschule liegen im Zeitplan. Verzögerungen infolge der Covidkrise konnten kompensiert werden. Die Inbetriebnahme ist für das Schuljahr 2021/22 geplant. Bis zu ihrem Umzug verbleibt die vorgegründete 151. Oberschule an ihrem Interimsstandort auf dem Gelände der 30. Grundschule in der Hechtstraße.
Die Louisenstraße sollte kurz- und mittelfristig aufgewertet werden. Gibt es Fortschritte?
Die sind zum jetzigen Zeitpunkt noch recht überschaubar. Der Stadtratsbeschluss vom September 2019 beinhaltet eine städtebauliche Untersuchung in Verbindung mit einer umfangreichen Bürgerbeteiligung. Die finanziellen Mittel dafür sind im Haushalt des Stadtplanungsamtes entsprechend eingeplant. Zur Vorbereitung der Umgestaltung der Louisenstraße sind 2020 zusammen mit Studierenden der TU Dresden Untersuchungen zur Straßenraumgestaltung und Umfeldnutzung durchgeführt worden. Die Ergebnisse sollen in die 2022 geplante verkehrlich-städteplanerische Untersuchung einfließen.
Der Bewohnerparkbereich um Holzhofgasse und Diakonissenweg sollte auf seine Wirksamkeit hin überprüft werden. Wie sieht das Ergebnis aus?
Der Bewohnerparkbereich reicht bis zur Albertstraße und ist erst am 1. November 2019 eingerichtet worden. Wir sind also noch in der Analyse. Beim Stadtbezirksamt sind bis jetzt keine Beschwerden eingegangen. Einige wenige sind an das Stadtplanungsamt herangetragen worden.
In Kontext der Bewohnerparkbereiche möchte ich erwähnen, dass es bei Neubauvorhaben wie zum Beispiel in der Theresienstraße keine neuen Bewohnerparkausweise geben wird, da die Bauherren verpflichtet sind, Stellplätze zu schaffen.
Ihre Wünsche für das laufende Jahr?
Ganz oben steht Gesundheit und die Normalisierung der Verhältnisse! Vielleicht lernen wir aus der Pandemie, dass das »Schneller-Höher-Weiter-Prinzip« allein auf Dauer nicht trägt. Es sollte durch eine Kultur der Rücksichtnahme und Gelassenheit ersetzt oder wenigstens ergänzt werden. Allen Bürgerinnen und Bürgern wünsche ich persönliches Wohlergehen.
Wir danken für das Gespräch. Es fragte Steffen Möller.