»Re:Vision – Erfahrungen aus der Zukunft«
Löbtau persönlich
Veröffentlicht am Mittwoch, 31. Januar 2018
Felix Liebig, einer der derzeit wichtigsten Stadtteilakteure beim Aktivieren von Bürgerbeteiligung im Dresdner Stadtteil Löbtau, plaudert »aus dem Nähkästchen«. Dabei findet sich auch die ein oder andere Anregung für Bürger, die auch in ihrem Stadtteil konstruktives, demokratisches Bürgerengagement beleben wollen.
»Zukunftsstadt Dresden 2030« prangte 2017 auf Plakaten und Bannern in Löbtau, garniert mit fluffigen Grafiken einer lokalen Illustratorin: »Visuranto« hilft »Visionieren«. Aber: Wann ist Zukunft? Was ist Stadt? Wie ist Dresden? Und was wird 2030 sein? Es hat lange gedauert, bis mir klar war, wie denn nun die Zukunftsstadt funktioniert und welche Vision sie verfolgt. Ein persönlicher Erfahrungsbericht.
Re:Vision
Ich wohne seit 2012 in Löbtau und engagiere mich dort ehrenamtlich als einer von zwei Sprechern der »Löbtauer Runde« und Vorsitzender des Löbtop e. V. Mit dem Gewerbeverein Kesselsdorfer Straße e. V. führte die Zukunftsstadt während ihrer Phase 1 den Workshop »Nachbarschaft und Wirtschaftsentwicklung im Stadtteil« durch. Mein erster Kontakt. Hauptberuflich betreibe ich »Kultur- und Stadtpädagogik«. Daher rührt meine Idee eines »Beteiligungswerkzeuges«, das ich zur Phase 2 der Zukunftsstadt in Workshops der Sparte »Bildung – Campus – Bürgerwissen« einbrachte und in einer Projektgruppe weiter entwickle. Besonders interessiert hat mich auch das Zusammenwirken von »Zukunftstadt« und »Kulturhauptstadt« in diesem Prozess. Insofern war für mich die »Zukunftskonferenz« im neuen Kulturpalast sehr aufschlussreich. So habe ich mich nach meiner Vision von jedem einzelnen der vier Begriffe des Projekttitels »Zukunfts-Stadt Dresden 2030« gefragt:
Zukunft?
Derzeit hat das für mich mit Familie, Beruf und den nächsten paar Jahren zu tun, also der Vision von meinem täglichen Leben. Öffne ich aber meinen Blick, geht es um das »Morgen«. Doch wann ist das? Die jeweilige Folgezeit beginnt quasi in der nächsten Sekunde und die »Futurologie« entwickelt daraus ganze Zukunftsmodelle. Doch in meinen Augen geht es immer erstmal darum, Neuland zu betreten, also nicht nur um Ideen, sondern auch um Raum. Wie zum Beispiel unser neuer Stadtteilladen! Nicht nur darum, Visionen zu entwickeln, sondern in Anlehnung an den Ursprung des Wortes Zukunft um den hier gar nicht traditionell gemeinten »Ad-Vent«, sprich das An-Kommen in einer anderen Zeit, einem anderen Raum und das Wohlfühlen darin – mehr vielleicht als heute im Hier und Jetzt einer fragwürdigen politischen Kultur? Jedenfalls ist unser »Löbtauer Advent« ein bürgerschaftlich geprägtes Zusammenwirken für ein paar schöne Stunden. Ich habe auch nachgesehen, was das viel genutzte »Visionieren« denn nun bedeutet: In der Schweiz meint es »sich (einen Film oder Ähnliches) prüfend ansehen«. Womöglich wollen wir uns die »Zukunft« genauer angucken, sie (voraus)sehen. Wir tun also gut daran, ein kritisches Leitbild zu erarbeiten!
Dresden?
Nunja, das ist eine sehr persönlich gefärbte Vision: Für mich steht Dresden seit meiner Ankunft hier 1998 unter dem – gar nicht negativ gemeinten – Aspekt der »Hass-Liebe«. Eine in vieler Hinsicht wunderbare Stadt; doch sie hat für mich persönlich tiefe Brüche: Wunden von Formen politischer Bevormundung in jeder Epoche, freiem Aufstreben, freiem Fall im Krieg und freiem Markt prägen die hiesige Bürgerschaft – und damit ihr Wirken in allen Bereichen, eben auch der Stadtkultur. Sie erkennt ihre Vorzüge oft nicht. Eine von innen unsichtbare Befangenheit gegenüber Veränderungen ist spürbar: »Ach, Sie kommen aus Dresden…«, höre ich Menschen andernorts mit bedauerndem Unterton sagen, wenn ich es verrate. Als Reaktion darauf wird nun – man darf es mögen oder nicht – die „Neue Kultur des Miteinanders“ im Kontext der Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2025 propagiert. Damit ist die Stadt aber noch nicht lebenswerter. Vom Stadtteilladen des Löbtop e. V. weiß ich um die alltägliche kulturelle Praxis dieses Miteinanders. Wie aber kann man Bürgerkultur für Alle weiterdenken?
Stadt?
Mir hat sich diese Vision eingeprägt: Eine Stadt ist die Gesellschaft der Menschen und ihrer Häuser. Stadtkultur ist Bürgerkultur. In Dresden gehören die meisten Häuser nunmehr großen Gesellschaften und nur wenigen echten Bürgern dieser Stadt. In Löbtau etwa wohnen viele Eigentümer westwärts und sind für lokale Kulturbelange kaum erreichbar. „Polis“ nach griechischem Vorbild ist der Ort der Vielen. Wir wissen heute, dass in Griechenland nicht alle mitbestimmen durften und dürfen. Wir wissen allerdings auch, dass wir heute mehr denn je zu einer geteilten Lebenswelt Stadt in der Lage sind. Die Stadt für Alle. Dank neuer, z. T. digitaler, Formen des Miteinanders. Dresden braucht demnach, finde ich, mehr soziales Rückgrat unter seinen Bürgern, mehr Eigentum, mehr Selbstbestimmung und mehr Aufrichtigkeit.
Einige Stadtteile gehen beispielhaft voran mit Bügerinitiativen und Stadtteilvereinen. So auch Löbtau, wo es schon nach der Wende die »IG Löbtau« gab, aus der u. a. diese Zeitung hervorging. In der Zukunftsstadt wird das Etablieren stadtweiter Stadtteil- und Quartiersmanager mit jeweils eigenen Bürgerfonds diskutiert. Diese wurden bereits in der »Löbtauer Runde« vorgestellt. Nicht »Smart City« (totale Vernetzung), sondern »Urban Commoning« (städtisches Gemeinwesen) muss wachsen!
2030?
Ich selbst werde in dem Jahr 52 Jahre alt: Bergfest. Ob ich da noch in Dresden bin oder woanders in der Welt – mal sehen. Die Welt könnte in meinen Augen jedenfalls anders aussehen. Was ist in zwölf Jahren; vor zwölf Jahren hatte ich gerade mein erstes Handy und noch nicht lange einen eigenen Computer. Viel Zeit zum Entwickeln! Wir haben dann vielleicht eine Welt mit nachbarschaftlichen Bürgervertretungen, was o.g. Vernetzung der Stadtteilvereine anstrebt. Der Bauer wohnt womöglich auf der nächsten Brache und Brachen sind kulturell akzeptiertes Revitalisierungsland, wie es die Bürgergärten auch in Löbtau vormachen. Autos sind dereinst ein schlechter Witz unserer Großeltern und Eltern – ein Hoch auf den »Bürgerboulevard« Kesselsdorfer Straße, für den die Umbauten zur sog. »Zentralhaltestelle« ein Vorspiel darstellen! Und Digitalisierung ist bald ein wichtiger, aber manchmal peinlicher Zwischenschritt der Evolution in unserer Jugendzeit, weshalb wir gerade ein ganzheitliches Bürgernetz für Löbtau innerhalb der Zukunftsstadt konzipieren. Wir sind dann eben nachhaltig, ohne es so zu nennen und leben in einer Vision der Kommunalität.
Vision
Ich sehe insbesondere in unserer Bürgerarbeit in Löbtau »Community Design«, einen im nachbarschaftlichen Gestalten ausgedrückten gemeinsamen Willen, die Vision von einem Zusammenleben, die meines Erachtens grundpolitisch ist. Digitale und soziale Medien bilden heute die Grundlage für eine breite kommunale Wirksamkeit der Teilnehmenden wie auch der Kommune selbst. Beteiligung auf, an und in allen Ebenen des urbanen Lebens macht den viel geforderten Gemeinsinn aus.
Mit den aufrichtigen Beiträgen der vielen Teilnehmenden kann das Programm Zukunftsstadt genau diese Eigenschaften der Akteure bewusst stärken und deren Selbstorganisation fördern. Im Löbtop e. V. gibt es das Pilotprojekt »Mit Sprache!« – und das passt doch perfekt!
Zum Reinschnuppern bietet sich löbtop.de oder das nächste Plenum im Stadtteilladen an.
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Kultur!ngenieur Felix Liebig
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