Neuer Weg der Erinnerungskultur
Dresden tut sich schwer mit dem Gedenken.
Veröffentlicht am Dienstag, 17. November 2015
Dresden tut sich schwer mit dem Gedenken. Häufig entsteht der Eindruck, dass Teile der Geschichte unbewusst ausgeblendet werden. Mit der Kindergrabanlage ist ein neuer Weg der Erinnerungskultur beschritten worden. Zwischen 1943 und 1945 starben 225 Säuglinge und Kleinkinder, die von Zwangsarbeiterinnen im Entbindungslager Kiesgrube zur Welt gebracht wurden. Dresdner Schüler und Schülerinnen befassten sich zwei Jahre lang mit dem Schicksal der Kinder und entwickelten Ideen für die Neugestaltung der Grabanlage.
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Kriegsveteran Viktor S. Maximov (90) aus Jekaterinenburg legt Blumen an der Gedenkstätte ab.
Foto: Archiv
Erinnerung kann auch schmerzen und wehtun! Pfarrer Eckehard Möller fand eindringliche Worte anlässlich der feierlichen Übergabe der neugestalteten Kindergrabanlage auf dem St.-Pauli-Friedhof am 6. November 2015.
Dresden tut sich schwer mit dem Gedenken. Häufig entsteht der Eindruck, dass Teile der Geschichte unbewusst ausgeblendet werden. So erinnern nur wenige Stätten an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Mit der Kindergrabanlage ist ein neuer Weg der Erinnerungskultur beschritten worden.
Zwischen 1943 und 1945 starben 225 Säuglinge und Kleinkinder, die von osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen im Entbindungslager Kiesgrube am Hammerweg zur Welt gebracht wurden. Ihre sterblichen Überreste sind in einem unscheinbaren Sammelgrab auf dem St.-Pauli-Friedhof beigesetzt. Die Kinder starben infolge mangelhafter Ernährung und gezielter Vernachlässigung. Lediglich eine schlichte Tafel mit der Inschrift »Hier ruhen Kinder der Bürger der polnischen Republik und Kinder der Bürger der U.d.S.S.R 1939–1945« erinnerte an das damals Geschehene.
Schülerinnen und Schüler mehrerer Dresdner Schulen befassten sich zwei Jahre lang mit dem Schicksal der Kinder und entwickelten Ideen für die Neugestaltung der Grabanlage. Jedem der Kinder ist nun eine aus modellierbarem Kunststein gefertigte Tafel gewidmet, auf der Namen und Lebensdaten festgehalten ist. Die Tafeln bilden einen Fries, der sich über rund 90 Meter Länge erstreckt. Damit werden die Größe der Grabanlage und die Dimension der Geschehnisse abgebildet. Für die Schülerinnen und Schüler war der Karton, in dem die Kinder beigesetzt wurden, ein Motiv, das sie als gestalterisches Element aufgriffen, zu einer Skulptur zusammenfügten und mit einem Text versehen haben, der an das Schicksal der Kinder erinnert. Entstanden ist eine Grabstätte zur würdevollen Erinnerung an das Leid der in Dresden verstorbenen Kinder und ihrer Eltern.
Hunderte Dresdnerinnen und Dresdner sowie zahlreiche Gäste hatten sich zur Einweihung der neuen Gedenkstätte versammelt. Unter ihnen Aleksej Skripnik, der 1944 in einem Zwangsarbeiterlager in Chemnitz geboren wurde. Solveig Buder, Geschäftsführerin des Vereins Jugend Arbeit Bildung e. V., der das Projekt fachlich und pädagogisch begleitete, hob hervor, wie wichtig die Auseinandersetzung der Dresdnerinnen und Dresdner mit diesem Teil der Stadtgeschichte ist. Gemeinsam mit Bürgermeisterin Eva Jähnigen pflanzte der aus dem russischen Jekaterinenburg angereiste Aleksej Skripnik auf dem Gräberfeld einen Apfelbaum als Symbol der Hoffnung.
Finanziert worden ist das Projekt und die bauliche Umsetzung durch das Lokale Handlungsprogramm der Stadt Dresden und Bundesfördermittel für Kriegsgräber und Spenden. Die Kosten beliefen sich auf rund 45.000 Euro, der städtische Anteil lag bei 26.000 Euro.