Die heitere Muse als Dorfschönheit
Im Gespräch mit Andreas Schwarze, Dramaturg (Teil 5)
Veröffentlicht am Dienstag, 15. September 2015
Marion Neumann im Gespräch mit Andreas Schwarze, Dramatur an der Staatsoperette Dresden. In dieser Ausgabe geht es um Reinhold Stövesand, der 1978 die Leitung des Leubener Theaters übernahm und damit damals jüngster Intendant in der DDR war.
»Das auf größte Nachhaltigkeit bedachte Theater- und Musikschaffen Fritz Steiners an der Staatsoperette Dresden sollte eine würdige Nachfolge erfahren«, betont Andreas Schwarze in Hinblick auf Reinhold Stövesand, »geprägt von seinem Mentor und Freund Fritz Steiner für ein realistisches, volkstümliches Musiktheater, wollte er mit Leib und Seele Musical-Darsteller werden.«
Der jüngste Intendant
Im Juni 1978 trat er dessen Nachfolge im Leubener Theater an und wurde mit 39 Jahren der damals jüngste Intendant der DDR. Als Ensembleleiter hielt sich Stövesand an die Grundsätze seines Vorgängers: Menschlichkeit, Toleranz und Freiheit der Kunst hatten für ihn immer Vorrang vor Staatsraison und Parteidisziplin. Er war stets ganz nahe bei seinen Künstlern und Mitarbeitern. Stammte er doch selbst aus einer bekannten Dresdner Schauspielerfamilie und hatte das Theaterhandwerk von der Pike auf gelernt. Als Tellknabe stand er mit zwölf Jahren auf der Bühne des Großen Hauses. 1965 gastierte er erstmals im Leubener Theater in der Rolle des Algernon in »Mein Freund Bunbury«. Bis 1988 sollte er über 30 Rollen spielen.
Reko, Spitzen-Musicals und klassische Operetten
Auf dem Hintergrund einer scheinbaren Konsolidierung der Verhältnisse in der Gesellschaft entwickelte sich Dresden zur Stadt mit dem zweithöchsten Lebensstandard in der DDR. Industrie und Forschung boomten und Tausende Dresdner zogen aus ihren maroden Altbauwohnungen in die Neubauviertel Prohlis und Gorbitz. Der rekonstruierte und erweiterte Theaterbau sowie ein abwechslungsreicher Spielplan aus einem anspruchsvollen Mix von Spitzen-Musicals und klassischen Operetten trafen auf ein interessiertes Publikum.
Als musikalischer Oberspielleiter agierte Manfred Grafe als Meister des Taktstockes und überzeugte als stilsicherer und einfallsreicher Arrangeur und Komponist. Die tschechischen Dirigenten Vládimir Brázda und Miroslav Homolka bereicherten mit ihrer böhmischen Musikalität die Inszenierungen. Zum bewährten Regie-Profi Rudolf Schraps, welcher viele Jahre lang mit seinen Inszenierungen die Erfolgsgeschichte der Staatsoperette geschrieben hatte, gesellte sich der Regisseur Horst Ludwig und blieb bis 1987 Oberspielleiter. Das Ballettensemble und der Chor erreichten unter der Leitung von Ballettmeisterin Ingeborg Kassner und Chordirektor Siegfried Fischer hohe Qualität und Ausstrahlung. Trotz ideologischer Maßregelung aus Berlin brachte Stövesand mit seinem Leitungsteam Operetten aller Epochen auf die Bühne. Dazu gehörte 1981 Lehárs »Lustige Witwe« mit Ulrike Buhlmann und Stargast Jürgen Hartfield als Hanna und Danilo.
Ein Erlebnis in barocker Kulisse – der Autor und Dramaturg Siegfried Blütchen initiierte die Konzertreihe »Zwingermelodie«. 1978 kam der bekannte Synchronsprecher, Schauspieler und Regisseur Walter Niklaus als Gastsolist an die Elbe. Mit der Interpretation des subtilen Kammer-Musicals »The Fantasticks« stellte er 1982 seine außergewöhnliche Begabung als Zauberer der Bühne und Theaterlehrer für Sänger und Schauspieler unter Beweis.
Der Tanz mit der Macht
Brisante, aufrüttelnde Inszenierungen in den gelungenen Ausstattungen von Siegfried Rennert und Bernd Leistner wurden Programm. Die Choreografinnen Eva Reinthaller und Monika Geppert sorgten für einen Innovationsschub. In ihren Rollen mit klaren Zeitbezügen und gesellschaftskritischen Aussagen brillierten unter anderem die Solisten Gottfried Richter, Klaus Pönitz und Bettina Weichert und rissen ihr Publikum zu Beifallsstürmen hin. Die Staatsoperette wurde führend in ihrem Genre, drängte nach neuem, modernem Musiktheater. Sie machte von sich reden trotz Überwachung und ideologischer Einflussnahme durch die Staatssicherheit und Parteigremien. Absurd, aber dem Offenbachstück »Daphnis und Chloe« wurden »schädliche pazifistische Tendenzen« unterstellt. Der Regisseur Niklaus musste Änderungen vornehmen. Doch trotz gepriesener »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« steuerte man letztlich in den Staatsbankrott. In diesen letzten angespannten Jahren der DDR gelangen Reinhold Stövesand mit den Regisseuren Walter Niklaus und Klaus Winter und dem Orchesterleiter MD Volker Münch drei theatralische Großereignisse von Format: »Evita« (1987), »Alexis Sorbas« (1988) und »Der König David Bericht« (1989) nach Stefan Heym. Als der Autor im Mai 1989 vom Premierenpublikum gefeiert wurde, war Stövesand bereits ein halbes Jahr Intendant des Friedrichstadt-Palastes in Berlin.
(Fortsetzung folgt)