Beliebte Skulptur »Lesendes Mädchen« wird 61
Geschichte eines Wahrzeichens
Veröffentlicht am Montag, 17. Juni 2019
Das »Lesende Mädchen« ist ein markantes Kunstwerk in der Südvorstadt. Es hat eine bewegte Geschichte. Zweimal wurde es bereits zerstört und wieder repariert aufgestellt.
Südvorstadt. Normalerweise muss eine Skulptur oder Plastik mindestens 30 Jahre stehen, bevor sie in die Liste der geschützten sächsischen Kleindenkmale aufgenommen werden kann. Erstaunlich: Bei dem sehr beliebten »Lesenden Mädchen« am Nürnberger Ei vor der Anne-Frank-Bibliothek ist das bis heute nicht passiert. Dabei machte sich bereits 1958 der aus Ostpreußen stammende junge Künstler Heinz Mamat daran, aus Kunststein ein »Lesendes Mädchen« zu modellieren. Modell saß ihm – das berichtete jetzt der Stadtteilzeitung sein Enkel Dr. Constantin Mamat – seine älteste Tochter. Als sich der Absolvent der Hochschule für Bildende Künste entschloss, diese Skulptur zu fertigen, informierte er die damals zuständige Berliner Kulturbehörde. Sein Anliegen wurde umgehend genehmigt und ein weiterer Künstler mit der Herstellung des Sockels beauftragt. Ein Standort stand anfangs noch nicht fest. Später erwies sich die Idee als ein Glückstreffer, das »Lesende Mädchen« neben einer Bibliothek aufzustellen, die ihren Schwerpunkt bei Kinder- und Jugendbüchern sah. Für hunderte Leserinnen und Leser und die Bibliotheksmitarbeiterinnen wurde über sechs Jahrzehnte »Die Lesende« zum Wahrzeichen der Stadtteilbibliothek im Dresdner Südosten.
Wie sehr Leser und Anwohner, aber auch Bibliotheksmitarbeiter die Skulptur schätzen, wurde deutlich, als es tatsächlich darauf ankam: Über 30 Jahre war das »Lesende Mädchen« unbehelligt geblieben – doch nach der Wende 1989 wurde die Skulptur von Rowdies mehrfach zerstört, zwei Mal direkt enthauptet. Beim ersten Mal brachten die Schänder der Skulptur noch reumütig den Kopf zurück und setzten ihn auf die Skulptur, doch beim zweiten Mal blieb er weg und wurde nach Fotos vom Bildhauermeister Andreas Händel rekonstruiert. Anwohner und Händler am Nürnberger Ei sammelten gemeinsam Spenden für die Rekonstruktion.
Wie es mit dem »Lesenden Mädchen« nach dem unmittelbar bevor stehenden Umzug der Bibliothek in der Südvorstadt vom Nürnberger Ei zum Münchner Platz weiter geht, ist immer noch unklar. Der langjährige Leser Fritz Trautmann ist davon überzeugt, dass das bisherige Bibliothekswahrzeichen mit umziehen sollte. Einen Umzug auf den Spielplatz vor dem Bibliotheksgelände sieht er als unproblematisch an: »Nach meinen Beobachtungen spielen dort Vorschulkinder in Begleitung von Erwachsenen.« Sie könnten durch die Skulptur vielleicht sogar angeregt werden, die nahe gelegene Bibliothek zu besuchen. Dort könnte ihnen eine Märchenfee aus Grimms Märchen vorlesen, so wie es einst der ehemalige Flugzeugkonstrukteur für seine Söhne tat. Der Vizechef der Städtischen Bibliotheken Roman Rabe verrät immerhin so viel: »In den neuen Räumen am Münchner Platz wird es einen Bezug zum ›Lesenden Mädchen‹ geben. Wie dieser Bezug aber hergestellt wird, das bleibt einer Künstlerin überlassen, deren Namen ich hier nicht verraten werde.«
Bis zum 13. September 2019 bleiben Bibliothek und Skulptur am Nürnberger Platz vereint. An diesem Tag ist der letzte Öffnungstag am alten Standort – am 7. Oktober 2019 öffnet die Bibliothek dann in den neuen Räumen am Münchner Platz mit für ganz Dresden neuartigem Konzept.