Traditionsgeschäft »Schirm-Dunger« am Schillerplatz gibt auf
Aus nach 92 Jahren
Veröffentlicht am Freitag, 16. September 2016
Die Schließung ihres Traditionsgeschäftes »Schirm-Dunger« am Schillerplatz wird eine Lücke hinterlassen wird. Am 23. September 2016 ist das Geschäft zum letzten Mal geöffnet – nach 80 Jahren an diesem Standort.
Stück für Stück leeren sich die Regale: Ob Hut, Rucksack oder Handtasche, alles, was verkauft wird, hinterlässt eine Lücke im Laden von Christina Seipt. So wie die Schließung ihres Traditionsgeschäftes »Schirm-Dunger« am Schillerplatz eine Lücke hinterlassen wird. Am 23. September ist es zum letzten Mal geöffnet – nach 80 Jahren an diesem Standort. Ein paar Häuser weiter hatte Kurt Dunger 1924 das Familienunternehmen gegründet. Vor 50 Jahren erlernte Christina Seipt das Schirmmacherhandwerk bei ihrem Vater, machte ihren Meister und übernahm vor 29 Jahren das Geschäft Am Angelsteg 5. Nun muss sie die Tür für immer zuschließen. »Es ist traurig, dass es so aufhört, es ist nicht mein Wille«, sagt sie. Der Vermieter hatte ihr gekündigt, »er will vom nächsten Mieter sehr viel mehr Miete«. Die hätte sie nicht bezahlen können. Schon vor zwei Jahren war die Miete erhöht worden, danach musste Frau Seipt ihrer Verkäuferin die Stundenanzahl kürzen. In der letzten Zeit ist die Schirmmachermeisterin meist allein im Laden. Seit »Räumungsverkauf« am Schaufenster steht, kommen Kunden und drücken ihr Mitgefühl aus, manch einer brachte sogar Blumen mit.
Auch ein altes Handwerk stirbt nun aus: Vor der Wende war es gang und gäbe, einen defekten Schirm reparieren oder neu beziehen zu lassen. »Die Leute standen Schlange, wir hatten immer gut zu tun«, sagt Christina Seipt. Auch neue Schirme gab es zu kaufen. An einem Heiligabend ging selbst noch der letzte Damenschirm – »obwohl der hässlich war« – über den Ladentisch. »Ladenhüter gab es nicht«, erinnert sie sich. Bis zu zehn Mitarbeiter waren angestellt. Nach der Wende änderte sich schlagartig alles. Kaum einer brachte noch was zum Reparieren, vorhandenes Material musste in Größenordnungen abgeschrieben werden. Aus den Bezugsstoffen wurden zwar noch Beutel genäht, aber vieles musste auch weggeworfen werden. Jetzt richtete sich der Fokus mehr auf den Verkauf: Lederwaren, Hüte, Mützen, Accessoires ergänzten das große Schirmsortiment. Nach und nach war auch Handwerkskunst wieder gefragt: Wenn es um Schirme für Aufführungen an der Operette oder an der Oper ging oder um das Aufarbeiten historischer Stücke. Mit dem Internetverkauf wurden neue Wege gegangen.
Dass das traditionelle Handwerk es heute schwer hat, bestätigt auch Schirmmacher Rolf Lippke. Er musste sein Geschäft auf der Königsbrücker Straße vor drei Jahren aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben und betreibt nun in Berlin ein Fachgeschäft.
»Schirme werde ich wohl bis zuletzt anbieten können«, ist sich Christina Seipt sicher, das hat sie mit den Lieferanten so vereinbaren können. Und was kommt nach dem langen Arbeitsleben? »Mal gucken«, sagt die 66-Jährige. Öfter mal die Enkel besuchen, vielleicht ein Hobby entwickeln, sich eine sinnvolle Beschäftigung suchen…