Die heitere Muse als Dorfschönheit
Hinter die Kulissen der Staatsoperette geschaut: Im Gespräch mit Andreas Schwarze, Dramaturg (Teil 4)
Veröffentlicht am Donnerstag, 27. August 2015
Andreas Schwarze, Dramaturg der Staatsoperette Dresden hat für seinen Vortrag unter dem Titel »Die heitere Muse als Dorfschönheit – 70 Jahre Volkstheater in Dresden-Leuben« im Dresdner Stadtmuseum viel recherchiert. Er ist Initiator und Kurator des neu geschaffenen digitalen Archivs der Staatsoperette Dresden. Diesmal geht es um Direktor Prof. Fritz Steiner.
Wer war der »Striese von Leuben«? »Ja, den gab es tatsächlich in den wilden sechziger und siebziger Jahren«, bestätigt Andreas Schwarze, der Initiator und Kurator des neu geschaffenen digitalen Archivs der Staatsoperette Dresden mit größter Wertschätzung. »Was Direktor Prof. Fritz Steiner seinem Ensemble in fast zwanzig Jahren an Berufsethos, Professionalität und Denkanstößen mitgegeben hatte, war die Grundlage für die weitere künstlerische Entwicklung der Staatsoperette in den achtziger Jahren.«
Das eigene Konzept vom heiteren musikalischen Volkstheater
Vor dem Hintergrund der Intensivierung des Aufbaus des Sozialismus in der DDR, laut V. Parteitag der SED (1958) und der von Walter Ulbricht verkündeten »10 Gebote der sozialistischen Moral und Ethik«, startete der erste Sieben-Jahres-Plan zur Angleichung der Volkswirtschaften der DDR und der Sowjetunion. Der ideologische Druck in allen Bereichen wurde verschärft, der Begriff der »sozialistischen Nationalkultur« wurde geprägt. Auch am Staatlichen Operettentheater ging diese politische Entwicklung nicht spurlos vorüber. Der Intendant Peer Bejach wurde unter dem Vorwurf von Managertum, mangelnder ideologischer Arbeit und moralischer Verfehlungen vorübergehend verhaftet. Das Leubener Theater und Ensemble wurde dem Generalintendanten des Staatstheaters unterstellt. In dieser problematischen Situation wurde Fritz Steiner, jüdischer Emigrant, Mitglied der SED und als Oberspielleiter für Oper und Operette bisher in Potsdam erfolgreich tätig, zum Direktor des Operettenhauses berufen. Ein Glücksfall, wie sich herausstellen sollte. Er hatte das Format, eine eigene Konzeption vom heiteren musikalischen Volkstheater zu entwickeln und vor allem auch umzusetzen. Dazu gehörten die Forderung nach einer vielseitigen Ausbildung von Regisseuren und Musikdramaturgen und seine Vision von der Persönlichkeit des »Sänger-Darstellers«, der mit seinen sängerischen, schauspielerischen sowie tänzerischen Fähigkeiten zur intensiven und wahrhaftigen Rollengestaltung fähig ist. Mit der Gründung einer Operettenabteilung an der Dresdner Musikhochschule 1949, an der er auch in seiner Potsdamer Zeit unterrichtete, hatte Steiner bereits erste Voraussetzungen für die Schaffung eines modernen Musiktheaters beschritten.
Eine außergewöhnliche Theateratmosphäre
Neben zahlreichen Autoren, Komponisten, Regisseuren und Bühnenbildnern wurden viele junge ambitionierte Künstler engagiert, u. a. Helma Reuter, Helga Schulze-Margraf, Maja Rosewith Riemer, Jutta Mücke, Richard Stamm, Werner Heintzsch, Günter Weichert und Karl-Heinz Märtens. Die Dirigenten Manfred Grafe, Karl-Heinz Hanicke und Siegfried Fischer gingen neue Wege mit Orchester und Chor, Rudolf Klüver, Mola Hillebron und Ingeborg Kassner prägten das Ballett. Der Erfinderreichtum von Eberhard Ahner, Harry Schulz, Axel von Flocken und Siegfried Rennert zauberten trotz Materialmangels überraschende wie geschmackvolle Ausstattungen und Bühnenbilder. Es herrschte eine außergewöhnliche Theateratmosphäre, in der alle Mitarbeiter und Gäste des Hauses zu einer verschworenen Gemeinschaft voller Energie und Kreativität wurden. Eine Anerkennung war 1963 die Verleihung des Namens »Staatsoperette Dresden«.
In vielen Stücken stand der Prinzipal selbst auf der Bühne und faszinierte das Publikum mit seinen Rollengestaltungen. Schließlich gelang ihm mit dem Engagement von Mitgliedern des Staatstheaters Dresden als Musical-Darsteller ein besonderer Coup. So brillierte Horst Schulze in der Titelrolle von »Bel Ami« (1962), Hermann Stövesand gab den Don Quichotte im »Mann von La Mancha« (1974) und Marita Böhme als Eliza Doolittle und Peter Herden als Professor Higgins in »My Fair Lady« (1965). Letztere DDR-Erstaufführung in der Regie von Steinert brachte es auf sagenhafte 446 Vorstellungen bis 1978. Ausgewählte klassische Operetten wie »Frau Luna« oder »Ritter Blaubart« kamen in richtungsweisender Form auf die Bühne. Steiner setzte sich auch für neue Stücke mit gesellschaftlichem Bezug und moderner musikalischer Stilistik ein. »In Frisco ist der Teufel los« (1962), »Mein Freund Bunbury« (1965) und »Cabaret« (1976) sorgten weit über Dresden hinaus für Aufsehen. Mit seinem Mut zum Experiment wurde der »Theaterprofessor« zu einem Wegbereiter des nationalen und internationalen Musicals in der DDR.
Reko statt Neubau
Ab Anfang der sechziger Jahre war die Operette ständig vom baupolizeilichen Aus bedroht. 1967, zum 20. Jahrestag seiner Gründung, wurde das Theater wieder eigenständig. Da ein Neubau in der Innenstadt weiterhin ein Wunschtraum blieb, begannen Arbeiten für einen Anbau mit modernen Garderoben, Werkstatträumen, Ballett- und Probensaal, eine Drehbühne und neue Ton- und Lichttechnik. Sie dauerten bis Ende 1977. Diesen Neubeginn erlebte Fritz Steiner nicht mehr. Er starb im Oktober 1977.